Virtuelle Inbetriebnahme (VIBN) von Anlagen

Ingenieur bei der virtuellen Inbetriebnahme von industriellen Robotern

Zusammenfassung: In der Fertigungs- und Automobilindustrie setzen mittlerweile 67 % der Unternehmen auf virtuelle Inbetriebnahme (VIBN), um Prozesse effizienter zu gestalten und Fehler frühzeitig zu erkennen¹. Die Technologie verkürzt die Inbetriebnahmezeit um bis zu 30 % und senkt gleichzeitig die Kosten². Besonders nützlich ist VIBN, wenn neue Technologien oder Produktionslinien eingeführt werden, da potenzielle Probleme bereits vorab in einer sicheren, virtuellen Umgebung simuliert und behoben werden können. Darüber hinaus hilft VIBN auch dabei, den Fachkräftemangel zu mildern, indem Mitarbeiter in einer risikofreien, digitalen Umgebung geschult werden. Dies verkürzt die Einarbeitungszeit und reduziert das Risiko von Fehlern in der realen Produktion erheblich.

¹Siemens, 2023

²RTInsights, 2023 ​

Was ist virtuelle Inbetriebnahme?

Virtuelle Inbetriebnahme (VIBN) ist die Simulation und das Testen von Anlagen in einer digitalen Umgebung. Dabei werden Steuerungsprogramme und Produktionstechnik vor der physischen Umsetzung getestet. Dies führt nicht nur zu einer Optimierung der realen Inbetriebnahme, sondern spart auch Kosten, reduziert das Risiko von Ausfällen und verkürzt die Implementierungszeit. Im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen ermöglicht die VIBN eine frühzeitige Fehlererkennung und -behebung.

Mit 3D-Simulation Engpässe frühzeitig erkennen

Ein zentrales Element der VIBN ist die 3D-Simulation. Mit Hilfe dieser Simulation wird das Verhalten von Anlagen realitätsnah abgebildet. Dadurch können Ingenieure und Techniker einzelne Anlagen  testen und komplexe Produktionsabläufe simulieren. So lassen sich mögliche Engpässe oder Fehlerquellen in der Produktion frühzeitig erkennen und beheben.

Virtuelle Abbildung von Produktionsprozessen

Die virtuelle Inbetriebnahme geht weit über die bloße Simulation einzelner Anlagen  hinaus. Sie ermöglicht es, ganze Produktionsprozesse virtuell abzubilden. Dies bedeutet, dass Unternehmen nicht nur die Funktionalität einzelner Komponenten testen können, sondern auch die Interaktion verschiedener Anlagen und Produktionsschritte untereinander. Auf diese Weise lassen sich komplette Produktionslinien in einer sicheren, virtuellen Umgebung optimieren, ohne dass reale Maschinen oder Ressourcen beansprucht werden.

Digitaler Zwilling – Simulationsmodell der Maschine oder Anlage

Ein digitaler Zwilling stellt ein digitales Abbild einer realen Anlage dar, das deren physische und funktionale Eigenschaften exakt widerspiegelt. Er wird durch Echtzeitdaten der realen Anlage gespeist, wodurch das Maschinenverhalten unter realen Bedingungen simuliert werden kann. Dies ermöglicht detaillierte Analysen und Optimierungen der Maschinenleistung, bevor physische Anpassungen oder Änderungen an der Anlage erforderlich werden. Unternehmen können so bestehende Anlagen effizienter betreiben und zukünftige Anlagen, Maschinen und Produktionsprozesse besser planen, was die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erhöht und eine schnellere Reaktion auf Marktveränderungen erlaubt

Klassische Inbetriebnahme vs virtuelle Inbetriebnahme

Vergleichstabelle Klassische und Virtuelle Inbetriebnahme

Ablauf der virtuellen Inbetriebnahme (VIBN)

Die VIBN folgt einem strukturierten und systematischen Ansatz, um die Effizienz der Inbetriebnahmeprozesse zu maximieren. Im Wesentlichen umfasst der Ablauf der virtuellen Inbetriebnahme vier Schritte:

1. Erstellung des virtuellen Modells

Zunächst wird ein detailliertes, digitales Modell der Anlage erstellt. Dieses Modell umfasst die physikalischen Eigenschaften der Anlage, die Steuerungslogik und die Interaktion mit anderen Anlagen.

2. Konfiguration des Testaufbaus

Sobald das Modell erstellt ist, werden die Testbedingungen festgelegt. Dazu gehören die Simulation verschiedener Produktionsszenarien, die Belastung der Anlagen sowie die Berücksichtigung potenzieller Störfaktoren.

3. Durchführung des virtuellen Tests

In dieser Phase wird die Simulation unter realistischen Bedingungen durchgeführt. Dabei wird geprüft, ob eine Anlage wie erwartet funktioniert und ob die Steuerungslogik korrekt implementiert ist.

4. Optimierung

Basierend auf den Ergebnissen des Tests werden Anpassungen und Optimierungen vorgenommen, um die Leistung von Anlagen zu verbessern. Dies kann sowohl die Verbesserung der Steuerungssoftware als auch die physische Anpassung der Maschine umfassen.

Die 4 Phasen des VIBN-Prozesses

Der virtuelle Inbetriebnahme-Prozess lässt sich in vier zentrale Phasen unterteilen:

1. Planung und Modellierung

In dieser Phase wird ein exaktes virtuelles Modell der Anlage erstellt, das die Grundlage für alle weiteren Tests und Simulationen bildet. Hier wird sichergestellt, dass das Modell alle relevanten Eigenschaften der realen Anlage abbildet.

2. Simulation

In der Simulationsphase wird das Modell in verschiedenen Szenarien getestet. Dabei kommen modernste Simulationswerkzeuge zum Einsatz, die es ermöglichen, das Verhalten von Anlagen unter realistischen Bedingungen zu überprüfen.

3. Validierung

Nach der Simulation werden die Ergebnisse analysiert und ausgewertet. Dies ist ein kritischer Schritt, da hier Schwachstellen identifiziert und Verbesserungspotenziale aufgezeigt werden.

4. Implementierung und Optimierung

In der letzten Phase wird das optimierte Modell in die reale Inbetriebnahme überführt. Durch die Optimierungen aus der virtuellen Inbetriebnahme kann der reale Prozess schneller und effizienter ablaufen.

Vorteile virtueller Inbetriebnahme

Zu den Vorteilen der virtuellen Inbetriebnahme gehören:

1. Frühzeitige Fehlererkennung

Durch die Simulation können Fehler bereits in der Planungsphase erkannt und behoben werden. Dies reduziert die Wahrscheinlichkeit von Ausfällen während der realen Inbetriebnahme erheblich.

2. Zeitersparnis

Da viele Tests in der virtuellen Umgebung durchgeführt werden, kommt es zu einer erheblichen Verkürzung der Inbetriebnahmezeit bei der realen Inbetriebnahme. Unternehmen können ihre Anlagen schneller in Betrieb nehmen und schneller auf den Markt reagieren.

3. Kostensenkung

Durch die Optimierung der Prozesse in der virtuellen Umgebung lassen sich teure Nacharbeiten und Anpassungen in der realen Welt vermeiden.

4. Höhere Effizienz

Die VIBN ermöglicht eine kontinuierliche Verbesserung der Produktionsprozesse, da Anpassungen und Optimierungen schnell und einfach in der virtuellen Umgebung durchgeführt werden können.

5. Bessere Zusammenarbeit

Da verschiedene Abteilungen gleichzeitig an der virtuellen Inbetriebnahme beteiligt sein können, wird die Zusammenarbeit zwischen Engineering, Produktion und IT verbessert. Teams können parallel arbeiten und gemeinsam Lösungen entwickeln.

Typische Anwendungsbereiche von VIBN

Die virtuelle Inbetriebnahme findet Anwendung in verschiedenen Industrien und Sektoren. Dies insbesondere in Branchen, die auf komplexe und automatisierte Prozesse angewiesen sind.

Maschinenbau

Im Maschinenbau werden häufig komplexe Maschinen und Produktionsanlagen in einer virtuellen Umgebung getestet, bevor sie real aufgebaut werden. Die VIBN ermöglicht es, die Maschinensteuerung zu optimieren und sicherzustellen, dass die Maschinen den Produktionsanforderungen entsprechen.

Automobilindustrie

In der Automobilindustrie ist die virtuelle Inbetriebnahme ein entscheidendes Werkzeug, um neue Produktionsprozesse zu testen und zu optimieren. Besonders bei der Einführung neuer Fahrzeugmodelle spielt die VIBN eine zentrale Rolle, da sie es ermöglicht, die Produktion schnell und effizient zu gestalten.

Fertigungsindustrie

Auch in der Fertigungsindustrie ist die VIBN weit verbreitet. Sie hilft Unternehmen, ihre Produktionsprozesse zu optimieren und sicherzustellen, dass alle Anlagen und Maschinen reibungslos miteinander arbeiten. In der Massenproduktion können durch VIBN erhebliche Einsparungen erzielt werden.

Automatisierungsindustrie

Die Automatisierungsindustrie profitiert enorm von der VIBN, da hier häufig komplexe Steuerungs- und Regelungsprozesse getestet werden müssen. Durch  Simulation lassen sich Steuerungssysteme optimieren, bevor diese in der real implementiert werden.

Virtuelle Inbetriebnahme als Treiber der Industrie 4.0

Mit der fortschreitenden Entwicklung der Industrie 4.0 gewinnt virtuelle Inbetriebnahme (VIBN) zunehmend an Bedeutung. Unternehmen sind dank der Einbindung von IoT-Technologien, Big Data und Echtzeit-Analysen in der Lage, ihre Simulationen immer präziser und effizienter durchzuführen. Eine nahtlose Integration von VIBN in bestehende Systemen eröffnet zudem neue Geschäftsfelder wie „Manufacturing-as-a-Service“ (MaaS). Dabei  bieten Unternehmen Anlagen als Dienstleistung an, um Kunden Produkte fertigen zu lassen, ohne dass diese in eigene Produktionsanlagen und Infrastruktur investieren müssen. Unternehmen, die frühzeitig auf die Virtuelle Inbetriebnahme (VIBN) und Industrie 4.0 setzen, schaffen zukunftssichere Prozesse und positionieren sich optimal, um auf neue Marktanforderungen flexibel reagieren zu können.

FAQ I Virtuelle Inbetriebnahme

Die virtuelle Inbetriebnahme (VIBN) ist eine Methode, um die Inbetriebnahme von Maschinen und Anlagen digital zu simulieren, bevor sie in der physischen Welt stattfindet. Durch die Erstellung eines digitalen Modells der Anlage können mögliche Probleme frühzeitig erkannt und behoben werden, was die tatsächliche Inbetriebnahme beschleunigt und optimiert.

Es wird ein sog. digitaler Zwilling der Anlage oder Maschine erstellt, der die Funktionen und Steuerungen in einer Simulation nachbildet. Mithilfe von Simulationssoftware können Ingenieure die Programmierung und Steuerung der Anlage testen, bevor diese physisch existiert. Das ermöglicht es, verschiedene Szenarien zu durchlaufen und die Steuerungslogik zu optimieren.

Die virtuelle Inbetriebnahme ergänzt, aber ersetzt die reale Inbetriebnahme nicht vollständig. Sie dient als Vorbereitung, um die reale Inbetriebnahme sicherer und schneller zu gestalten, indem Fehlerquellen bereits vorab digital identifiziert und behoben werden.

Für die VIBN werden spezialisierte Simulations- und Steuerungssoftware benötigt, oft in Kombination mit 3D-Modellen und digitalen Zwillingen. Tools wie PLC-Simulationen, HMI-Modelle und CAD-Software kommen ebenfalls zum Einsatz, um die reale Umgebung präzise abzubilden.

Die größte Herausforderung ist die Erstellung eines möglichst genauen digitalen Zwillings, der alle Aspekte der realen Anlage oder Maschine abbildet. Außerdem erfordert die VIBN hohe Rechenkapazitäten und eine enge Zusammenarbeit zwischen Softwareentwicklern und Ingenieuren.

Indem Fehler frühzeitig erkannt und vermieden werden, können teure Anpassungen und Nacharbeiten während der physischen Inbetriebnahme reduziert werden. Dies spart nicht nur Kosten, sondern erhöht auch die Effizienz der gesamten Produktionskette.

VIBN ermöglicht es, die Funktionalität und Leistung einer Anlage unter realistischen Bedingungen zu testen, bevor sie gebaut wird. Dadurch können Schwachstellen im Design oder in der Steuerung frühzeitig identifiziert und behoben werden, was zu einer höheren Produktqualität führt.

VIBN ist ein zentraler Bestandteil der Industrie 4.0, da sie digitale Modelle und Daten nutzt, um die Effizienz und Flexibilität der Produktion zu steigern. Sie ermöglicht eine engere Verzahnung zwischen virtueller Planung und realer Produktion, was die Grundlage für zukunftsorientierte, automatisierte Fertigungsprozesse schafft.

Image: Adobe Stock – Copyright: ©  Viks_jin – stock.adobe.com

Arne Reis

Gründer

Arne Reis, Founder of flowdit

Prozessoptimierer mit 25 Jahren Expertise, fokussiert auf operative Exzellenz in Qualität, Instandhaltung, EHS und Inbetriebnahme. Setzt auf innovative Lösungen und höchste Qualitätsstandards.

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