HAZOP: Gefährdungs- und Risikoanalyse nach IEC 61882 und ISO 14971

Two engineers discussing a HAZOP study in the manufacturing industry

Zusammenfassung: HAZOP (Hazard and Operability Study) ist eine der effektivsten Methoden, um Risiken und potenzielle Betriebsstörungen in komplexen Anlagen zu identifizieren. Seit der Einführung in den 1970er-Jahren hat sich das Verfahren weltweit in der Prozessindustrie etabliert. Besonders in der chemischen, pharmazeutischen, Öl-, Gas- und Nuklearindustrie ist HAZOP unverzichtbar, da hier die Betriebssicherheit oberste Priorität hat. Durch die systematische Analyse von Prozessen, Anlagen und Systemen deckt HAZOP mögliche Gefahrenquellen auf, bevor diese zu tatsächlichen Problemen führen.

Was ist eine HAZOP-Analyse? (PAAG)

HAZOP, kurz für Hazard and Operability, ist ein systematisches Verfahren zur Identifikation und Bewertung potenzieller Gefahren sowie operativer Probleme in technischen Systemen und Prozessen. Es basiert auf einem strukturierten Ansatz, bei dem mögliche Abweichungen vom Normalbetrieb analysiert und ihre Ursachen sowie Auswirkungen bewertet werden. Das Verfahren wird durch die Normen IEC 61882 und ISO 14971 empfohlen und findet breite Anwendung in der Industrie, insbesondere in sicherheitskritischen Bereichen. Im deutschen Sprachraum ist HAZOP auch als PAAG-Verfahren bekannt, das für die Schritte Prognose, Auffinden der Ursache, Abschätzen der Auswirkung und Gegenmaßnahmen steht. Ein multidisziplinäres Team untersucht dabei systematisch einzelne Prozesskomponenten und deren Wechselwirkungen. Mithilfe vordefinierter Leitwörter, wie „mehr“, „weniger“ oder „keine“, werden mögliche Szenarien durchgespielt, um Risiken zu identifizieren und geeignete Maßnahmen abzuleiten. Dies hilft, Normabweichungen frühzeitig zu erkennen und die Sicherheit sowie Effizienz von Anlagen zu verbessern.

Ziele der HAZOP-Methode

Die HAZOP-Methode dient dazu, die Sicherheit von Produkten und Prozessen zu gewährleisten. Zu den Zielen gehören:

  • Erkennen potenzieller Gefahren: Identifikation von Risiken wie chemischen Reaktionen, Druck- oder Temperaturabweichungen, die Sicherheitsrisiken darstellen könnten.
  • Bewertung früherer Vorfälle: Analyse von Ereignissen mit gefährlichem Potenzial, um aus vergangenen Fehlern präventive Maßnahmen abzuleiten.
  • Minimierung menschlicher Fehler: Systematische Identifikation von Schwachstellen, die durch Bedienungsfehler entstehen könnten, und Entwicklung klarer Handlungsanweisungen.
  • Prüfung von Kontrollmaßnahmen: Beurteilung, ob bestehende Sicherheitsvorkehrungen ausreichend sind, und Identifikation von Schwächen in Schutzsystemen.
  • Abschätzung von Schadensauswirkungen: Prognose möglicher Folgen im Falle eines Kontrollversagens, insbesondere für Gesundheit, Umwelt und Anlagen.
  • Förderung eines sicheren Betriebs: Etablierung von Standards und Maßnahmen, die nicht nur Vorfälle verhindern, sondern auch langfristig die Betriebssicherheit erhöhen.

Unterschied zwischen HAZOP, Risikobewertung und HAZID

Die drei Ansätze HAZOP, Risikobewertung und HAZID dienen der Identifikation und Bewertung von Risiken, werden jedoch unterschiedlich eingesetzt:

HAZOP

HAZOP (Hazard and Operability Study) untersucht systematisch Abweichungen in Prozessen und deren potenzielle Auswirkungen, insbesondere bei komplexen technischen Anlagen.

  • Fokus: Identifikation von Prozessabweichungen und ihren Gefahren
  • Anwendung: Detaillierte Analyse von neuen oder bestehenden Anlagen.
  • Ziel: Vermeidung von Betriebsrisiken und Verbesserung der Prozesssicherheit.

Risikobewertung

Die Risikobewertung analysiert und priorisiert Gefahren anhand von Wahrscheinlichkeit und Schwere ihrer Auswirkungen, um Schutzmaßnahmen zu planen.

  • Fokus: Bewertung und Priorisierung von Risiken.
  • Anwendung: Flexibel in jeder Branche oder Situation einsetzbar.
  • Ziel: Konkrete Maßnahmen zur Risikominderung entwickeln.

HAZID

HAZID (Hazard Identification) konzentriert sich auf die frühzeitige Identifikation von Gefahren in der Planungsphase eines Projekts.

  • Fokus: Früherkennung potenzieller Risiken für Mensch, Umwelt und Eigentum.
  • Anwendung: Projekte in der Planungs- oder Konzeptphase.
  • Ziel: Risiken proaktiv vermeiden und Sicherheitsmaßnahmen integrieren.
 

Ablauf einer HAZOP-Studie

1. Zusammenstellung eines HAZOP-Teams

Ein multidisziplinäres Team bildet die Grundlage jeder erfolgreichen HAZOP-Studie. Experten aus verschiedenen Fachbereichen, darunter Verfahrenstechnik, Betrieb und Sicherheit, bringen ihre spezifischen Kenntnisse ein, um Risiken umfassend zu bewerten. Klare Rollen und Verantwortlichkeiten gewährleisten effiziente Abläufe während der Analyse.

2. Analyse von Prozessen und R&I-Fließschema

Die Analyse beginnt mit einer genauen Prüfung der relevanten Prozesse und des R&I (Rohrleitungs- und Instrumentierung) – Fließschemas. Dabei werden Knotenpunkte bestimmt, die besondere Risiken oder kritische Schnittstellen im System darstellen. Diese Punkte dienen als zentrale Elemente der Untersuchung.

3. Parameteranalyse, Ermitteln von Grenzwerten und Festlegung von Leitbegriffen

Für jeden Knotenpunkt definiert das Team Kontrollparameter, wie Druck oder Temperatur, und identifiziert die relevanten Grenzwerte. Leitbegriffe wie „mehr als“ oder „weniger als“ helfen, potenzielle Abweichungen systematisch zu erfassen und zu bewerten.

4. Implementierung von Kontrollsystemen und Mechanismen

Um Risiken effektiv zu mindern, entwickelt das Team spezifische Kontrollmaßnahmen. Parallel dazu wird ein Überwachungssystem implementiert, das Abweichungen frühzeitig erkennt und Gegenmaßnahmen ermöglicht.

5. Berichterstattung und Prozessanpassung 

Nach Abschluss der Analyse dokumentiert das Team die Ergebnisse und teilt diese mit relevanten Stakeholdern. Basierend auf den Erkenntnissen optimiert das Unternehmen  Prozesse und reduziert langfristig potenzielle Gefährdungen.

Die 4 Phasen der HAZOP-Analyse 

Die HAZOP-Methode gliedert sich in vier zentrale Phasen:

1. Definitionsphase

Die Definitionsphase markiert den Startpunkt des Verfahrens. Hier wird das Team zusammengestellt, wobei die Auswahl der Mitglieder auf deren Fachkompetenzen basiert. Im Anschluss werden die Verantwortlichkeiten klar zugewiesen und die Ziele sowie der Untersuchungsumfang definiert. Zusätzlich werden Systemgrenzen, wesentliche Schnittstellen und grundlegende Annahmen festgelegt.

2. Vorbereitungsphase

In dieser Phase werden alle relevanten Daten und Unterlagen für die Analyse zusammengetragen. Gleichzeitig wird ein Zeitplan mit konkreten Fristen erstellt. Weiterhin wird ein einheitliches Format für die Dokumentation der Ergebnisse vorbereitet, um die Konsistenz und Nachvollziehbarkeit sicherzustellen.

3. Prüfungsphase

Die Prüfungsphase umfasst die detaillierte Untersuchung des Prozesses oder Systems. Zunächst werden alle relevanten Elemente identifiziert. Mithilfe von Leitbegriffen werden anschließend mögliche Abweichungen vom Soll-Zustand ermittelt. Zu jedem Element werden die potenziellen Auswirkungen analysiert und Maßnahmen zur Prävention, Erkennung und Kontrolle definiert.

4. Dokumentationsphase

Zum Abschluss werden die Ergebnisse der Analyse in standardisierten HAZOP-Berichten dokumentiert. Diese Phase beinhaltet auch die Nachverfolgung der umgesetzten Maßnahmen sowie, falls erforderlich, die erneute Bewertung bestimmter Elemente, um eine nachhaltige Risikominderung zu gewährleisten.

Leitworte des PAAG-Verfahrens 

Das PAAG-Verfahren bzw. HAZOP untersucht systematisch mögliche Abweichungen in Prozessen. Dabei werden Leitworte verwendet, um gezielte Fragen zu stellen, wie sich bestimmte Parameter ändern könnten. Diese Fragestellungen helfen, Abweichungen vorherzusagen und Risiken frühzeitig zu erkennen. In der Praxis werden Leitworte oft an die jeweiligen Prozesse angepasst. Durch eine klare Definition von Abweichungen, (z.B. bei Drücken, Durchflussmengen oder Betriebsstoffen) wird eine genaue Analyse ermöglicht. 

Tabelle mit Leitwörtern (Guidewords) und Parametern der HAZOP-Analyse

HAZOP als integraler Bestandteil Ihrer Sicherheitsstrategie

Die HAZOP-Methode ist mehr als eine einfache Risikoanalyse – sie bietet eine strukturierte Grundlage, um potenzielle Gefahren frühzeitig zu identifizieren und gezielte Maßnahmen abzuleiten. Insbesondere in sicherheitskritischen Bereichen dient die Analyse nicht nur der Einhaltung von Normen wie IEC 61882 und ISO 14971, sondern schafft auch die Basis für einen stabilen und effizienten Betrieb.

Regelmäßige HAZOP-Studien tragen dazu bei, bestehende Prozesse zu evaluieren und kontinuierlich zu verbessern.

FAQ I HAZOP 

Eine HAZOP-Studie (Hazard and Operability Study) ist eine systematische Methode zur Identifizierung und Bewertung von Risiken und Betriebsproblemen in Prozessanlagen. Sie basiert auf der Analyse von Prozessen und deren Abweichungen von normalen Betriebsbedingungen.

Die Analyse sollte während der Planungsphase neuer Anlagen oder bei größeren Änderungen bestehender Prozesse durchgeführt werden. Auch bei der Einführung neuer Technologien oder bei sicherheitsrelevanten Vorfällen ist eine regelmäßige Überprüfung sinnvoll.

Die „Leitfragen“ sind standardisierte Fragen wie „Was passiert, wenn der Druck zu hoch wird?“ oder „Welche Auswirkungen hat eine Temperaturabweichung?“ Diese helfen dabei, alle möglichen Störungen im Prozess zu berücksichtigen.

An einer HAZOP-Studie nehmen i.d.R. ein interdisziplinäres Team aus Ingenieuren, Sicherheitsbeauftragten, Prozessspezialisten und Betriebsleitern teil, um unterschiedliche Perspektiven zu integrieren.

Eine Abweichung beschreibt jede Veränderung eines Prozessparameters (z.B. Druck, Temperatur), die vom vorgesehenen Betriebszustand abweicht und potenziell zu Gefahren oder Betriebsstörungen führen kann.

Die FMEA (Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse) untersucht, wo Fehler in einem System auftreten können und welche Auswirkungen diese haben könnten. Im Gegensatz dazu konzentriert sich die HAZOP-Analyse (Hazard and Operability) darauf, Abweichungen in Prozessen zu finden, die zu Gefahren oder Problemen führen könnten. FMEA betrachtet einzelne Komponenten, HAZOP hingegen den gesamten Prozess.

Die Fehlerbaumanalyse (FTA) ergänzt beide Methoden, indem sie untersucht, wie ein bestimmter Fehler entsteht, indem man die Ursachen Schritt für Schritt zurückverfolgt. In der Praxis werden HAZOP, FMEA und FTA oft zusammen oder mit anderen Methoden wie LOPA (Layer of Protection Analysis) genutzt, um Risiken umfassend zu bewerten.

Die Risiken werden i.d.R. nach der Schwere der möglichen Folgen und der Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet, um Prioritäten für Sicherheitsmaßnahmen und Prozessoptimierungen zu setzen.

Beispiel:
In einer Anlage könnte ein Ventil versagen und einen Überdruck verursachen. Die Schwere wird als hoch eingestuft, da eine Explosion möglich ist, die Eintrittswahrscheinlichkeit jedoch als gering, da das Ventil regelmäßig gewartet wird. Daraus ergibt sich eine mittlere Priorität, und Maßnahmen wie ein zweites Sicherheitsventil könnten umgesetzt werden.

Typischerweise benötigt man Fließschemata, Prozessdaten, Betriebsanweisungen und technische Spezifikationen, um die HAZOP-Studie effektiv durchführen zu können.

Copyright © SeventyFour – depositphotos.com

Arne Reis

Gründer

Arne Reis, Founder of flowdit

Prozessoptimierer mit 25 Jahren Expertise, fokussiert auf operative Exzellenz in Qualität, Instandhaltung, EHS und Inbetriebnahme. Setzt auf innovative Lösungen und höchste Qualitätsstandards.

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